Der Griff zum Energydrink gehört für viele Menschen zum Alltag. Ob im Büro, vor dem Sport oder während langer Autofahrten – die bunten Dosen versprechen schnelle Energie, gesteigerte Konzentration und körperliche Leistungsfähigkeit. Doch hinter den verlockenden Werbeversprechen von Red Bull, Monster Energy und Co. verbirgt sich eine Realität, die Konsumenten oft nicht kennen. Die Hersteller nutzen ausgeklügelte Marketingstrategien, um die tatsächliche Zusammensetzung ihrer Produkte zu verschleiern und ein Bild zu erzeugen, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.
Das Spiel mit den Begriffen: Wenn Zutaten mysteriös klingen
Auf den Etiketten von Energydrinks tauchen regelmäßig Begriffe auf, die nach Hochtechnologie und wissenschaftlichem Fortschritt klingen. „Energy-Blend“, „Power-Matrix“ oder „Vitality-Complex“ suggerieren eine sorgfältig abgestimmte Mischung wertvoller Inhaltsstoffe. Tatsächlich handelt es sich dabei meist um Mixturen aus Wasser und einer großen Menge Zucker, angereichert mit Koffein sowie synthetischen Vitaminen und Aminosäuren. Diese fantasievollen Bezeichnungen dienen ausschließlich dazu, vom eigentlichen Inhalt abzulenken und dem Produkt einen innovativen Anstrich zu verleihen.
Besonders problematisch wird es bei Inhaltsstoffen wie Taurin oder Glucuronolacton. Verbraucher wissen häufig nicht, was sich dahinter verbirgt, und gehen aufgrund der chemisch klingenden Namen von besonders wirksamen Substanzen aus. Die Realität sieht anders aus: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat festgestellt, dass bisher keine gut kontrollierten Studien bekannt sind, die eine positive Wirkung von Taurin-Supplementen auf die körperliche Leistungsfähigkeit oder das Konzentrationsvermögen bei Gesunden zeigen. Die leistungssteigernde Wirkung dieser Stoffe ist wissenschaftlich nicht bewiesen, während ihre Nennung hauptsächlich dem Marketing dient.
Zuckermengen, die auf den zweiten Blick verschwinden
Ein weiterer Trick besteht darin, die tatsächliche Zuckermenge zu verschleiern. Viele Dosen enthalten nicht eine, sondern zwei oder sogar zweieinhalb Portionen. Die Nährwertangaben beziehen sich jedoch oft nur auf 100 Milliliter – nicht auf den gesamten Doseninhalt. Wer eine 500-Milliliter-Dose trinkt, nimmt dadurch schnell die fünffache Menge der angegebenen Werte zu sich, ohne es zu bemerken.
Zusätzlich werden verschiedene Zuckerarten verwendet und separat aufgelistet: Glukose, Saccharose, Fruktose und Maissirup erscheinen als unterschiedliche Positionen in der Zutatenliste. Dadurch rutscht jede einzelne Zuckerart weiter nach hinten, obwohl die Gesamtmenge an Zucker den Hauptbestandteil ausmacht. Diese Aufspaltung ist legal, aber irreführend – Verbraucher erkennen nicht auf den ersten Blick, dass sie teilweise mehr als zehn Würfelzucker pro Dose konsumieren.
Die Inszenierung der Portion: Kleine Zahlen, große Wirkung
Die Angabe unrealistisch kleiner Portionsgrößen ist eine gängige Praxis. Eine Dose wird als zwei oder drei Portionen deklariert, obwohl niemand eine bereits geöffnete Dose wieder verschließt und später trinkt. Diese Taktik ermöglicht es, Kalorien-, Zucker- und Koffeingehalt pro Portion niedrig erscheinen zu lassen. Auf den ersten Blick wirkt das Produkt dann deutlich harmloser, als es tatsächlich ist.
Die Verbraucherzentrale dokumentiert konkrete Beispiele: Eine handelsübliche Dose wird als zwei Portionen à 250 Milliliter ausgewiesen, obwohl die Dose als Ganzes getrunken wird. Eine 500-Milliliter-Dose Energydrink enthält dadurch eine deutlich höhere Menge an Koffein als eine Tasse Kaffee – doch durch die Aufteilung in kleinere Portionen erscheint der Gehalt pro Portion moderat. Für Konsumenten bedeutet das: Wer nicht genau nachrechnet, unterschätzt systematisch die aufgenommene Menge an Stimulanzien und Zucker.
Sportliche Versprechen ohne sportlichen Nutzen
Die Bewerbung von Energydrinks ist eng mit Sport, Action und körperlicher Leistung verknüpft. Extremsportler in spektakulären Situationen, Sponsoring von Sportveranstaltungen und Testimonials bekannter Athleten erzeugen den Eindruck, diese Getränke seien für sportliche Aktivitäten optimiert oder sogar förderlich.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen eine andere Sprache: Studien des Bundesinstituts für Risikobewertung haben gezeigt, dass die Kombination mehrerer Wirkstoffe in Energydrinks das Herz stärker belastet als Koffein allein. Bei Studienteilnehmenden, die einen Liter Energydrinks getrunken hatten, stieg der Blutdruck stärker als bei jenen, die nur Koffein zu sich genommen hatten. Auch ein wichtiger EKG-Wert, die QT-Zeit, veränderte sich – ein Zeichen dafür, dass Herzrhythmusstörungen auftreten können. Der hohe Zuckergehalt kann zudem zu Magen-Darm-Beschwerden führen, das Koffein wirkt entwässernd. Tatsächlich nutzen die meisten Konsumenten die Getränke im Alltag oder in Verbindung mit Alkohol – Anwendungsgebiete, die in der Werbung bewusst ausgeblendet werden.

Die Verschleierung des Koffeingehalts
Während Koffeinmengen angegeben werden müssen, erfolgt die Darstellung oft in einer Weise, die Vergleiche erschwert. Mal wird der Gehalt pro 100 Milliliter angegeben, mal pro Portion, mal pro Dose. Der gesetzlich maximal zulässige Koffeingehalt liegt in Deutschland bei 32 Milligramm pro 100 Milliliter. Zusätzlich enthalten viele Energydrinks neben Koffein weitere anregende Substanzen wie Guarana oder Mate-Extrakt, die ebenfalls eine koffein-ähnliche Wirkung haben.
Das Ergebnis: Verbraucher nehmen oft mehr stimulierende Substanzen zu sich als gedacht. Besonders problematisch wird dies bei mehrfachem Konsum über den Tag verteilt oder in Kombination mit Kaffee. Die empfohlene Tageshöchstmenge kann schnell überschritten werden, mit möglichen Folgen wie Herzrasen, Schlafstörungen oder Nervosität.
Natürlichkeit als Verkaufsargument
Immer mehr Hersteller setzen auf Formulierungen wie „mit natürlichem Koffein“ oder „pflanzliche Inhaltsstoffe“. Diese Begriffe erzeugen ein gesünderes Image, auch wenn die Wirkung chemisch identisch ist. Ob Koffein aus Kaffeekirschen oder synthetisch hergestellt wurde, macht für den Körper keinen Unterschied – für die Kaufentscheidung hingegen schon.
Auch die Verwendung von Fruchtextrakten oder Kräutern wird prominent beworben, obwohl diese mengenmäßig kaum ins Gewicht fallen und oft nur in Spuren vorhanden sind. Die Hauptbestandteile – Wasser, Zucker und Koffein – bleiben dieselben, werden aber durch die Betonung vermeintlich natürlicher Zutaten in den Hintergrund gerückt.
Gesundheitswarnungen, die niemand liest
Zwar finden sich auf Energydrinks mittlerweile Warnhinweise, diese sind jedoch oft klein gedruckt und an unauffälligen Stellen platziert. Die Vorderseite der Dose dominieren bunte Farben, dynamische Designs und große Werbeversprechen – die Warnung vor übermäßigem Konsum oder die Empfehlung, das Produkt nicht mit Alkohol zu mischen, versteckt sich auf der Rückseite in Kleinstschrift.
Diese Diskrepanz zwischen auffälliger Werbung und versteckter Aufklärung ist gewollt. Je weniger Aufmerksamkeit die kritischen Informationen erhalten, desto positiver bleibt das Gesamtbild des Produkts. Besonders junge Konsumenten, die ohnehin selten Kleingedrucktes lesen, werden so nicht ausreichend über mögliche Risiken informiert.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse geben Anlass zur Sorge
Die Forschung zu Energydrinks ist noch längst nicht abgeschlossen. Eine aktuelle Studie legt nahe, dass Energydrinks offenbar das Darmkrebsrisiko erhöhen könnten. Die darin enthaltene Aminosäure Taurin könnte demnach das Wachstum bestimmter Darmbakterien fördern, die mit Darmkrebs in Verbindung gebracht werden. Forscher sehen neben einer ungesunden Ernährung auch den Konsum von Energydrinks als mögliche Ursache dafür, dass vor allem junge Menschen immer häufiger an Darmkrebs erkranken.
Besonders bedenklich ist die Konzentration in sogenannten Energy Shots: Im Schnitt nehmen Menschen etwa 200 Milligramm Taurin pro Tag zu sich. Ein einzelner Energy Shot enthält jedoch 1.000 Milligramm Taurin – die fünffache Menge. Die Kombination von Energydrinks mit Alkohol und anderen Substanzen scheint besonders problematisch zu sein, wobei die Wechselwirkungen noch nicht ausreichend erforscht sind.
Was Verbraucher tun können
Der erste Schritt zu einem informierten Konsum ist das kritische Hinterfragen von Werbeversprechen. Begriffe wie „Power“ oder „Energy“ sind keine geschützten Bezeichnungen und sagen nichts über die tatsächliche Qualität oder Wirkung aus. Stattdessen lohnt sich der genaue Blick auf die Zutatenliste und die Nährwerttabelle.
Wichtig ist dabei, die Angaben immer auf den gesamten Doseninhalt hochzurechnen. Nur so wird ersichtlich, wie viel Zucker und Koffein tatsächlich konsumiert werden. Verbraucher sollten zudem beachten, dass die Kombination verschiedener Inhaltsstoffe zu Wechselwirkungen führen kann, die wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt sind.
Die Entscheidung für oder gegen Energydrinks sollte auf Basis vollständiger Information getroffen werden – nicht auf Grundlage cleverer Marketingstrategien, die mehr verschleiern als aufklären. Wer die Mechanismen hinter der Produktpräsentation versteht, kann bewusster entscheiden und ist nicht länger den Täuschungsmanövern der Industrie ausgeliefert. Die wachsende Zahl wissenschaftlicher Studien zu möglichen Gesundheitsrisiken macht deutlich, dass Vorsicht geboten ist – besonders bei regelmäßigem Konsum und in Kombination mit anderen Substanzen.
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